Mit dem Bau von Windanlagen werden Wälder aufgerissen, Landschaftsräume zerschnitten, Böden versiegelt, Ökosysteme zerstört, Tiere aus ihrer natürlichen Umgebung vertrieben.
Der Wald ist Witterungseinflüssen zunehmend schutzlos ausgeliefert, Wasser kann nicht mehr versickern, die Kühlfunktion geht verloren.

Gastbeitrag: Warum wir den Schwarzwald bewahren müssen

Dr. rer. nat. Anton Hammer war von 1982 bis 2006 Leitender Stadtforstdirektor und anschließend Naturschutzbeauftragter der Stadt Baden-Baden mit dem größten Stadtwald Baden-Württembergs. Wir danken ihm für seinen aktuellen Gastbeitrag über den Wert und die wichtigen Funktionen des Schwarzwalds, den wir freundlicherweise veröffentlichen dürfen.

 

Warum wir den Schwarzwald bewahren müssen

Als mein Vater geboren wurde (1902) war die Welt von gut einer Milliarde Menschen bewohnt. Als ich geboren wurde (1943) waren es schon 3 Milliarden. Heute (2022) werden es wohl schon 8 Milliarden Menschen sein. Es steigt also nicht nur die CO2-Belastung der Atmosphäre enorm an. Auch die Spezies homo sapiens hat entsprechend zugenommen und es scheint kein Zufall, dass die beiden Entwicklungen etwas miteinander zu tun haben könnten.

Seit Jahren verbrauchen wir zum Beispiel in Baden-Württemberg ca. 6 ha Land pro Tag und versiegeln sie als Straße oder Haus – neuerdings auch als Windkraftanlage – und entziehen diesen Lebensraum den wild lebenden Tieren und Pflanzen. Dabei müsste jedem unübersehbar klar sein, dass wir hier eine absolut endliche Ressource verbrauchen. Die Folge ist, dass es immer weniger unzerschnittene, naturnahe Flächen gibt, die Lebensraum für wild lebende Tiere und Pflanzen darstellen. Ein solcher größerer Lebensraum ist immer noch der Schwarzwald. Wald ist eine der letzten verbliebenen naturnahen Bewirtschaftungsformen der Landflächen, nachdem die meisten landwirtschaftlichen Flächen weitgehend denaturiert sind.

Das Phänomen Klimawandel ist kaum mehr zu leugnen. Der Sommer 2022 war um 0,4 Grad Celsius wärmer als der Rekordsommer 2021. Monatliche Abweichungen von Temperatur-Mittelwerten, die drei Standard Abweichungen über denen der Referenzperiode (1951-1980) liegen, treten heute schon 90 mal häufiger auf als im Referenzzeitraum. D.h. der Klimawandel ist wirklich angekommen. Und der Klimawandel wird weitergehen. Die weltweiten CO2-Emissionen werden zunächst jährlich weiter steigen, zur Zeit um circa 2 %. Diese pessimistische Einschätzung wird unterlegt durch das erschreckend magere Ergebnis der jüngsten Welt-Klimakonferenz (November 2022) aber auch durch durch die Tatsache, dass 50 % des CO2 in der Atmosphäre erst in den letzten 30 Jahren emittierte wurden. Auch alle Bemühungen Deutschlands werden daran wenig ändern, zumal unser Beitrag zu den weltweiten Emissionen von zur Zeit 2 % und auch dessen deutliche Reduktion das Gesamtergebnis nur sehr wenig beeinflusst.

Trotzdem ist es wichtig, dass wir weiter an einer Senkung unserer Emissionslast arbeiten, nicht zuletzt auch unter Berücksichtigung unserer historischen Verantwortung für die Emissionen in der Vergangenheit. Auch kann Deutschland einen wertvollen Beitrag zur Entwicklung neuer Technologien liefern, die den zukünftigen Ausstoß von CO2 minimieren. Gleichwohl müssen wir vorsorgend darüber nachdenken, wie wir Menschen und unsere natürliche Umwelt mit den negativen Auswirkungen des Klimawandels wie Hitzeperioden oder Starkregen zurecht kommen. Hier, bei der Mitigation, kommen den Bäumen, dem Wald und insbesondere auch größeren Waldgebieten ein wichtige Rolle zu. Die altbekannten Wirkungen des Waldes auf Boden, Wasser, Klima, Luft sowie als Lebensraum für wildlebende Tiere und Pflanzen sind und bleiben wichtig.

Mit der Häufung von Starkregen nimmt auch die Gefahr von Hochwasser, Muren und Erosion zu. Eine geschlossene Waldfläche kann dies weitgehend verhindern. Werden Wälder jedoch mit breiten Straßen und hohen Böschungen zerschnitten, so sind dies die Ansatzpunkte für eine schnelle Entwässerung zu Tal sowie Erosion. Solche neuen Erschließungen werden notwendig, wenn in Mittelgebirgen wie dem Schwarzwald Windkraftanlagen errichtet werden. Durch die besondere Bauweise der Windkraftanlagen sind Straßen mit großer Breite und ohne enge Kurven erforderlich. Dies führt im gebirgigen Gebiet zu großen Einschnitten. Das sind die Eingangspforten für zukünftige, rasche Wasserabflüsse und Überschwemmung. Bei der Abwägung im Zusammenhang mit dem Neubau von Windkraftanlagen sollte dieser Gesichtspunkt eine entscheidende Rolle spielen. Am Westabfall des Schwarzwaldes rate ich daher ab, solche Erschließungsmaßnahmen durchzuführen. Das ist auch eine Lehre aus dem Jahrhunderthochwasser in Baden-Baden 1998.

Mit dem Anstieg der Temperaturen und der Häufung von Hitzeextremen werden sich Fauna und Flora verändern. Neophyten und Neozoen, die hitzetoleranter sind, werden einwandern. Für die heimischen Arten gibt es wohl nur die Alternativen: Wanderung, Anpassung, sterben. Heute schon beobachtet man im Wald, wie beispielsweise die Fichte in den wärmeren Lagen auf dem Rückzug ist und neue Baumarten wie zum Beispiel der Glockenbaum ohne menschliches Zutun im Wald Fuß fassen. Bei der Wanderung von Arten gehen wissenschaftliche Untersuchungen davon aus, dass eine Wanderung in höheren Lagen von 10-12 Meter je Jahrzehnt stattfindet. Vögel und Insekten, die fliegen können, haben damit wohl die geringsten Probleme. Für andere Pflanzen- und Tierarten können jedoch Barrieren in Form von großen Zerschneidung von Landschaftsräumen, natürliche Katastrophen wie Dürre und Waldbrand ein erhebliches Hindernis für Wanderbewegung sein. Außerdem muss es ein Gebirge geben, das hoch genug ist, um als Rückzugsgebiet zu dienen. Die andere Alternative ist natürlich das Abwandern Richtung Norden, was aber wegen der vielen Zerschneidung in der industrialisierten Landschaft wesentlich problematischer sein dürfte.

Dem Schwarzwald und anderen Mittelgebirgen – natürlich auch den Alpen – kommt daher als Rückzugsgebiet eine gar nicht zu überschätzende Rolle für die Erhaltung unserer heimischen Fauna und Flora zu. Wir sollten daher alles unterlassen, was die Wanderung auch von kleineren und Kleinstlebewesen in höhere Lagen behindert. Auch hier stellt sich die Frage der Abwägung, ob durch große Infrastrukturmaßnahmen zugunsten der Windenergie nicht mehr Schaden für die Natur angerichtet wird, als durch die Reduktion der CO2-Emissionen an Nutzen erreicht wird?

Nicht wenige wissenschaftliche Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis, dass der Schwund der biologischen Vielfalt und das Aussterben von Arten ein größeres Problem für das Überleben auf unserem Planeten ist, als der Klimawandel. Die Bewahrung eines resilienten, intakten Waldes ist eine wichtige Maßnahme, um dem weiteren Verlust an Biodiversität auch unter der Rahmenbedingung eines sich verändernden Klimas vorzubeugen. Für einen intakten Wald ist es wichtig, dass er geschlossen bleibt, sein eigenes Innenklima behält und möglichst nicht durch künstliche Baumaßnahmen wie größere Trassen und Straßen zerschnitten wird. Je größer die Artenvielfalt in einem Ökosystem, desto größer die Resilienz.

Ein intakter Wald bedarf darüber hinaus auch der Pflege und Fürsorge durch ein qualifiziertes Personal und dazu zählt aus meiner Sicht auch die Bekämpfung des Borkenkäfers, damit die betroffenen Baumarten eine Chance bekommen, sich eventuell an die geänderten Voraussetzungen anzupassen. Dies gilt natürlich nicht nur für Bäume, sondern für alle Lebewesen. Eine Chance dürften vor allem diejenigen haben, die noch ein breites genetisches Spektrum aufweisen und sich von daher eher anpassen können. Bei Bäumen mit einem breiten natürlichen Genpool ist unter diesem Gesichtspunkt ein reichlicher Naturverjüngungsvorrat besonders wertvoll.

Dr. rer. nat. Anton Hammer
Leitender Stadtforstdirektor i.R.